Kalenderblätter

September 2021 – Ernte

Es ist es kurz vor 18 Uhr, die Abendsonne steht schon ganz schön tief am Himmel, als ich mein Rad in die Garage stelle. Durchs Küchenfenster winkt mir Henrik zu, der gerade dabei ist, Abendbrot zu machen. Doch bevor ich rein gehe, muss ich noch schnell eine Runde durch den Garten drehen, die Ernte des Tages einholen und dabei den Arbeitstag hinter mir lassen.

Zuerst schaue ich nach unseren Tomaten. Könnt Ihr Euch noch an die Minipflänzchen aus dem Kalenderblatt März erinnern? Nun ja, sie sind mir etwas über den Kopf gewachsen und liefern seit Wochen jeden Tag eine Schüssel voller Tomaten. Wenn ich mir eine kleine, frisch gepflückte Tomate in den Mund schiebe und mir dabei die großen Pflanzen ansehe, denke ich staunend: „Euch habe ich aus einem klitzekleinen Samenkorn gezogen und nur mit Hilfe von Erde, Wasser, Sonne und Luft produziert ihr eine Tomate nach der anderen. Das ist doch wirklich ein Wunder.“

Nach meinen zwei Gurkenpflanzen und den Zucchini brauche ich nicht mehr sehen, die habe ich bereits entsorgt, nachdem sie uns fleißig mit Früchten versorgt haben. Dafür wachsen die Kürbisse noch, auch die Mini-Kiwis sind bald reif und auch die Feigen brauchen noch ein paar schöne Sonnentage, bevor ich sie ernten kann.

Den Feigenbaum hat mir vor vielen Jahren mein Vater als kleines Bäumchen geschenkt. Jedes Jahr habe ich ihn im Herbst ins Tomatenhäuschen zum Überwintern gestellt und letztes Jahr ganz mutig rausgepflanzt. Im Winter habe ich des Öfteren: „Na mal sehen, ob Du den Winter überlebst.“ gedacht.
Er hat es nicht nur überlebt, er ist regelrecht explodiert, hat ganz viele neue Triebe bekommen und eine Menge Früchte angesetzt. Nun muss ich mal sehen, wie ich dieser Wachstumsfreude etwas Einhalt gebieten kann. Ansonsten ist unser Haus innerhalb der nächsten Jahre unter einem Feigenbaum verschwunden.

Bei meinem Rundgang bewundere ich auch die Stauden und Blumen, die noch blühen oder gerade damit anfangen. Alles ist selbst gepflanzt von meinen Eltern oder uns.

Jedes Jahr wandelt sich der Garten. Es gibt immer wieder neue Ideen, neue Pflanzen ziehen ein, alte müssen weichen. Ich hätte gerne da noch ein Beet, hier irgendetwas großes, blühendes und da eine Bienenwiese. Fast jede Idee lässt sich mit ein wenig Kraftanstrengung und einigen Samenkörnern umsetzen.

Langsam bin ich an der Haustür angekommen, die Hände voll mit meiner Ernte. Jetzt im September muss ich das noch richtig genießen. Bald wird sich der Garten in den Winterschlaf begeben. Es wird ruhiger und vor allem weniger bunt und grün werden.
Zum Ernten bleiben dann noch einige Kräuter und die Erinnerung an den Geschmack von Beeren, Tomaten, Gurken, Feigen und vielem mehr direkt vom Strauch gepflückt, an den Stolz, wenn man selbst geerntete Kartoffeln mit grünen Bohnen aus dem eigenen Garten kocht und die Vorfreude auf ein nächstes Gartenjahr.

Gerne probiere ich neue Sachen aus und manchmal wird es auch nichts.
Seitdem mein Vater nicht mehr im Garten rumwerkelt, gibt es keine Stangenbohnen mehr. Die wollen einfach nicht mehr wachsen.
Die Himbeeren und Brombeeren habe ich letztes Jahr etwas zu doll beschnitten und sie haben dieses Jahr fast nichts getragen.
Zu Henriks Freude wollte dieses Jahr auch der Mangold nicht so richtig wachsen. Dafür gab es im Frühjahr echt leckeren Spinat.
Auch meine neu gepflanzten Erdbeeren haben nur ein paar Früchte getragen und dafür haben sich die Walderdbeeren in unserem Garten, zur Freude der Nachbarskinder, ordentlich ausgebreitet.
Zum Glück können wir die Natur immer nur ein wenig mitgestalten und jedes Jahr zeigt sie mir aufs Neue, wieviel klüger, stärker und kreativer sie ist.

Wer, wie ich, manchmal nicht so recht weiß, was er mit dem Grünzeug aus dem Garten oder Balkon anstellen soll, kann mal bei Herrn Grün vorbeischauen. Der hat wirklich leckere Rezepte für all das Gartenzeug.

Und hier geht es noch zu den September-Kalenderblättern 2019 und 2020.

Ich muss noch etwas klar stellen: wir sind keine Selbstversorger, keine Weltverbesserer, keine Bio-Jünger, sondern wir naschen uns im Sommer und Herbst durch unseren Garten.

„Selbstversorger“ ist ja mittlerweile ein sehr hippes Wort geworden. In diversen Frauen- und Gartenzeitschriften und auf Instagram wird es ziemlich hochstilisiert.
Aber nur, weil ich meinen eigenen Schnittlauch ernte (wahrscheinlich als Pflanze im Supermarkt gekauft und dann auf die Fensterbank gestellt), bin ich noch lange kein Selbstversorger. Oder weil ich mal 3 Tomaten vom eigenen Balkon ernte und dann auf die Abendbrotstulle lege, macht mich das nicht zum Selbstversorger.
Ihr merkt, das Thema regt mich auf.

Wenn ich diese Instagramprofile sehe, wo hübsch zu recht gemachte Mädchen mit lackierten Fingernägeln eine selbstgezogene Gurke in die Kamera halten (nur weil es gerade angesagt ist) und meinen, sie retten jetzt mit ihrem 0,5qm Balkon mit 5 Pflanzen drauf die Welt, fliegen aber dreimal im Jahr in Urlaub, dann kommt aus meinem tiefen Inneren nur ein schweres Stöhnen und ein Kopfschütteln über den Irrsinn unseres Denkens und Tuns.
Und dieses kleine, unwichtige Selbstversorger-Thema ist nur ein mini-winzig-klitze-kleiner Punkt auf meiner derzeitigen Aufregeskala.
Ich schiebe mir mal lieber schnell eine Tomate aus meiner eigenen Ernte in den Mund, bevor da noch schlimme Verwünschungen rauskommen.

Lieber mal abkühlen, bevor ich mich aufrege.

 

2 Kommentare

  • Karin

    Hallo ihr beiden, ich habe festgestellt, dass eine jetzige Kollegin von mir auch immer in der Bammelecke baden geht, meistens mit ihrem Sohn. Ihr müsst also nicht weit von einander wohnen. Also, wie immer, die Welt ist klein.
    Lieben Gruß und danke für den schönen Newsletter

    • Sylke

      Hallo Karin,
      da hast Du recht, die Welt ist kleiner als man denkt. An den ungewöhnlichsten Orten haben wir schon Freunde getroffen.
      So wie wir uns auch hier nach so langer Zeit noch lesen, da freue ich mich immer ganz dolle.
      Hab einen schönen Herbst.
      Alles Liebe Sylke

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