Grübeln über – Glaubenssätze
Die Sonne lacht mir an diesem September-Morgen ins Gesicht. Eine dampfende Tasse Tee steht vor mir und in meiner Hand halte ich ein Erdbeermarmeladen-Brot. Ich lese gerade in einer Zeitung, im Hintergrund zwitschern die Vögel und der Wind raschelt im Laub. Ein perfekter Morgen, wäre da nicht wieder einer meiner Glaubenssätze „Wer rastet, der rostet.“.
Seit ein paar Wochen ritualisieren wir unseren neuen Alltagstrott.
Das heißt, Weckerklingeln, Guten-Morgen-Küsschen, Aufstehen, Teewasser aufsetzen, Betten machen, Zähne putzen, anziehen, Tasche packen, Tee hinter kippen, aufs Fahrrad schwingen und ab zur Arbeit und abends…na, ihr kennt das ja.
Für mich sehen so nur zwei Tage in der Woche aus.
Ja, ich lebe im Moment den Traum eines jeden Arbeitnehmers, fünf Tage frei und zwei Tage arbeiten.
Und ich habe oft ein schlechtes Gewissen deswegen.
Dabei habe ich mich bewusst dafür entschieden.
Als das Angebot kam, war mir sofort klar, so will ich das machen.
Ich will mehr Freizeit und verzichte dafür auf Gehalt.
Und eigentlich geht es mir damit richtig gut, wäre da nicht mein Kopf.
Ich bin fast wieder da, wo ich vor zwei Jahren schon mal stand, als ich mich schämte, so viel freie Zeit zu haben ( in Grübeln über – das Glücklichsein ).
Dabei dachte ich, ich hätte diese Grübelei überwunden. Nee, falsch gedacht. Neue Situation, neues Gedanken machen.
Denn nun bewege ich mich wieder im „richtigen“ Leben. Die Begründung – wir machen das nur für zwei Jahre – ist jetzt unpassend geworden.
Nun ist wieder durchackern angesagt und genau das möchte ich nicht mehr.
Mich macht es glücklich, morgens an den See zu fahren, den Nebelschwaden zu zusehen, nee Runde schwimmen zu gehen und gemütlich nach Hause zu radeln – einfach ab und zu in den Tag hineinzuleben.
Warum sollte ich darauf verzichten?
Klar, das Geld spielt eine große Rolle, denn Freizeit muss man sich leisten können.
Wir beide sind mittlerweile ganz gut darin geworden, an für uns früher wichtigen Dingen zu sparen, um mehr leben zu können und so kommen wir zur Zeit mit der Hälfte unseres früheren Einkommens ganz gut zu recht.
Schwerer sind meine Glaubenssätze zu knacken „Du musst etwas leisten, um jemand zu sein.“, „Nur durch viel Arbeit, bekommst Du auch Anerkennung.“ „Du darfst nicht einfach rumsitzen, wenn andere arbeiten.“ und so weiter und so fort.
Dabei arbeite ich zwanzig Stunden in der Woche und in dieser Zeit schaffe ich mehr, als oft in meiner Vollzeitstelle.
In meinen zwei Bürotagen bin ich voll und ganz auf Arbeit. Da ich in den restlichen fünf Tagen mein Privatleben organisieren kann, brauche ich in meiner Arbeitszeit an nichts anderes zu denken und nichts anderes machen – nur Arbeiten.
Das ist ein wirklich tolles Gefühl, ich kann mich ganz auf meine Aufgaben konzentrieren.
Die restlichen Stunden, die ich an den verbleibenden Tagen noch zu Hause arbeite, kann ich mir selber einteilen und sie bilden eine gute Brücke zur nächsten Woche.
Also eigentlich fühle ich mich damit richtig, richtig wohl.
Und dann kommt diese Frage: “ Was machst Du eigentlich an den anderen Tagen?“ Schwupps, ist es wieder da, mein schlechtes Gewissen. In meinem Kopf rattert es sofort los: Putzen, Einkaufen, Wäsche waschen, kannste jetzt nicht sagen, muss dein Gegenüber mit einer Fünftagewoche auch machen. Was habe ich schon Wichtiges zu tun, dass ich soviel frei brauche?
Diese Frage macht mich wirklich jedesmal sprachlos.
Mir fällt es schwer „in den Tag zu träumen, ein Buch zu lesen, in der Sonne zu sitzen, eine Runde Rad zu fahren, an meinem Herzensprojekt (diesem Blog) zu arbeiten“ zu sagen.
Ich bin gerade dabei zu lernen, dieses mir selbst gemachte Geschenk zu akzeptieren, zu genießen und anzunehmen.
Mit jeder Radrunde am Morgen, mit jeder Tagträumerei, mit jedem über den Tag gelesenem Buch, mit jedem ich-putze-erst-morgen, mit jeder kleinen Auszeit gelingt es mir ein wenig mehr.
Über kleine Auszeiten werden ich ab jetzt immer mal wieder schreiben.
Das große, lange Reisen ist für uns erstmal vorbei. Doch in den letzten Jahren habe ich gelernt, dass jeder Tag kleine Auszeiten bereit hält, man muss sie nur erkennen.
Wie ist das bei Euch? Kennt Ihr Eure Glaubenssätze oder habt Ihr in einigen Situationen nur einfach ein ungutes Gefühl und wisst nicht warum? Gibt es Glaubenssätze die ihr gerne los werden wollt? Behindern sie Euch in Eurem Leben? Oder bringen sie Euch vorwärts und treiben Euch an?
3 Kommentare
Christel
Hallo Sylke,
Ich kann Dich gut verstehen. Wir sind doch alle sehr geprägt durch die Werte der Gesellschaft und unserer eigenen Erziehung. Ich hatte mal ein Aha- Erlebnis, als eine Frau mit Baby gefragt wurde, was sie denn “ sei“ . Sie sagte , sie sei Richterin, dass sie sich eine Auszeit von 3 Jahren für ihr Kind genommen hat, blieb unerwähnt. Ich dachte damals, aha, selbst in dieser Zeit “ muss mal wohl etwas sein“ Einfach nur Mutter, ist wohl zu wenig für die Gesellschaft. Ein gesundes Kind zur Welt bringen, es mit Liebe zu erziehen, hat wohl kaum Stellenwert.
Ich habe mich schlecht gefühlt. Ich hatte ein abgebrochenes Studium und meine berufliche Laufbahn wurde unterbrochen durch mein erstes Kind. Immer wieder die gleichen Fragen “ wann gehst Du wieder arbeiten“ ?
Es hat lange gedauert, bis ich die Zeit genießen konnte.
So viel Zeit hatte ich nicht bei meinem zweiten Kind.
Zeit ist das höchste Besitz, das ist 1. Semester VWL, und sie haben Recht.
Ich lebe das Leben, dass Du nicht möchtest, 40h die Woche arbeiten, die Zeit reicht kaum für alles.Manchmal stehe ich nachts in der Küche, weil ich den Anspruch habe, dass die Kinder nicht Hunger haben, weil ich arbeite, aber ich muss. Das ist der Unterschied.
Darum genieße es, Du hast es Dir verdient!!!
Sylke
Liebe Christel,
mal wieder ein toller Kommentar.
Vielen Dank dafür.
K&R
„Jetzt sind die guten alten Zeiten, nach dem wir uns in 10 Jahren zurücksehnen“
Peter Ustinov