Budapest – Eine Reise in die Vergangenheit?
#40 Budapest – Eine Reise in die Vergangenheit?
Lied zum Text: George Ezra “Budapest”
Wir haben eine Reise in ein Land/eine Stadt unternommen, die uns beiden aus Kindertagen bekannt ist.
Das letzte Mal waren wir Teenager, als wir in Ungarn und Budapest Urlaub machten. Als es an die Reiseplanung ging, haben wir Erinnerungen aus den tiefsten Schubladen unserer Gehirne vorgeholt. Mit diesen Geschichten und den daraus resultierenden Erwartungen sind wir nach Budapest aufgebrochen.
Etwas über eine Stunde Flug liegen zwischen Berlin und Budapest. Eine Stunde, in der die Erinnerungen immer wieder abschweifen in die Vergangenheit. Als DDR-Kinder war für uns Ungarn immer ein besonderes Reiseland, irgendwie schon fast wie Westen. Hier gab es Sachen, die es in der DDR nicht gab. Coca-Cola, Fanta, Sprite, sogar einen McDonalds, Plastikkörbe, Badelatschen, T-Shirts mit Aufdrucken, kuschlige Sweatshirts und coole Jeans – schöne, bunte Scheinwelt. Denn es gab auch Bettler, die wir so auch nicht kannten und als Kind kam mir das wie ein Paralleluniversum vor.
Jetzt, fast 30 Jahre später, bin ich abgeklärter oder desillusioniert? Ich kenne die schöne, bunte Welt und das Elend, dass damit verbunden ist.
Natürlich erzählen wir unserem Sohn die alten Geschichten und der denkt, er fliegt tief in den Osten.
Die Straße vom Flughafen nach Budapest bestätigt diese Erwartung. Mit dem Bus ohne Stoßdämpfer auf diesem ehemals sozialistischen Flickenteppich zu holpern, ist schon ein bisschen wie eine Reise in die Vergangenheit.
Doch kaum in der Innenstadt auf der Pest-Seite angekommen, ist dieses Gefühl vorbei.
Budapest ist renoviert, bunt, glitzernd und laut. Unser Sohn sagt es treffend:” Hier sieht’s aus wie in Barcelona.” Er hat schon Recht. Die wunderschönen Gründerzeit-Häuser, die geraden Straßen, die vielen Menschen auf der Straße und überall Imbissstände geben einem das Gefühl, in jeder beliebigen europäischen Großstadt zu sein. Von den Geschäften sind die europäischen Großstädte sowieso nicht mehr zu unterscheiden, überall der gleiche Einheitsbrei. Von C & A bis Zara alles da.
Wir wohnen im Pester Stadtteil Elisabethstadt – sozusagen der Prenzelberg von Budapest, nur noch etwas hipper. Gleich gegenüber unserer Wohnung gibt es einen Imbissstand mit Langos, irgendetwas mexikanisches, einen Dönerladen und einen Bäcker. Alle diese Läden haben 24/7 offen, auch jetzt über Ostern – verhungern unmöglich.
Wir wohnen zwar in einem Apartment, aber ich koche diesmal nicht selber. Ich habe mich vorher schon aufs Essen gehen gefreut, auf Gulasch, auf Pörkölt, auf Langos und Palacsinta. Kindheitserinnerungen lassen grüßen.
In Budapest essen zu gehen ist einfach, überall gibt es gute und preiswerte Restaurants für jede Geschmacksrichtung. Wir essen neben klassisch ungarisch auch mal Sushi und setzen uns mit unserer Hühnchentüte von KFC an die Donau und machen ein Sonnenuntergangspicknick – so schön.
Der öffentliche Nahverkehr ist richtig gut ausgebaut und preiswert. So fahren wir in unserer Woche, mit der Tram, dem Bus, mit der Fähre, einer Zahnradbahn in die Budaberge und mit dem ältesten U-Bahn- System auf dem europäischen Festland. Die U-Bahn verlangt jemanden wie mir -mit Höhenangst- etwas Mut ab. Es geht tief in den Untergrund und das mit ziemlich schnellen Rolltreppen. Vor mir muss immer Henrik stehen, hinter mir Willem, so dass ein Runterschauen unmöglich ist.
Doch meistens erlaufen wir uns Budapest. Mindestens 12 km am Tag schlendern wir durch die Innenstadt. Oft merken wir erst am Abend, dass uns die Füße und die Hüften weh tun, denn es gibt viel zu sehen. Allein die normalen Häuser sind sehenswert, immer gibt es irgendwelche Details zu entdecken. Überall gibt es Figuren, Schnörkel, bunte Dächer, wunderschöne Eingangstüren und schmiedeeiserne Balkone, ob an renovierten oder noch maroden Häusern. Gerade die maroden Häuser machen den Charme aus und die Ungaren wissen das. So gibt es in unserem Stadtteil die berühmten Ruinenbars. In alten, kaputten Häusern sind Bars eingebaut, manchmal geht es von Hinterhof zu Hinterhof hunderte von Metern an Bars und Restaurants vorbei. Nachts sind diese knüppelvoll von Touristen aber auch von Einheimischen.
Natürlich schauen wir uns auch die “üblichen” Sehenswürdigkeiten an. So sind wir jedesmal über die Schönheit des Parlamentsgebäudes fasziniert, sobald es in unseren Blickwinkel fällt. Wir laufen über die Kettenbrücke nach Buda und erobern uns den Burgberg, lassen uns durchs Burgenviertel treiben, stehen staunend vor der Fischerbastei und ich bekomme gleich romantische Gefühle beim Betrachten der Matthiaskirche. Es ist die Krönungskirche von Elisabeth und ich denke natürlich an alle Sissi- Filme.
(Henrik hat nach diesem Urlaub etwas Angst, dass ich mir zum 100. mal alle Teile ansehen will. Ich sehe das an seinem Blick, wenn ich frage: “Wollen wir uns einen Film ansehen?” und dann die Erleichterung, wenn es doch irgendein Actionklopper wird.).
Wir laufen durch die Markthalle und bewundern die verschiedenen Sorten der ungarischen Salami, gehen in jeden Laden der Budapester Shoppingmeile “Vaci Utca”, machen es uns gemütlich auf dem Heldenplatz, wo wir eine Stunde dem bunten Treiben zu sehen.
Auch die religösen Gebäude stehen auf unserer Besichtigungsliste. Die Stephanskirche überrascht uns mit ihrem Protz im Inneren. Wie jedesmal, in glänzenden, katholischen Kirchen, diskutieren wir über diesen Reichtum. Ich bin der Ansicht, dass durch dieses “Zurschaustellen” wertvolle Kunstwerke entstanden und erhalten geblieben sind. Meine beiden Männer sehen darin oft nur Ausbeutung und ein Machtgehabe der Kirche.
In der Synagoge (der größten erhaltenen in Europa) staunen wir dann alle. Es ist für uns das erstmal, dass wir in einer noch genutzten Synagoge stehen und in der Budapester vermischen sich Abend- und Morgenland auf harmonische Weise.
Vom Trubel versuchen wir uns im Rudasbad zu erholen. Eines der kleineren Thermalbäder der Kurhauptstadt (Budapest ist die einzige Hauptstadt der Welt, die sich Heilbad nennen darf). Das warme Wasser macht uns zwar träge und müde, doch Erholung stellt sich auf Grund der Lautstärke nicht so richtig ein. Diese finden wir auf der Margaretheninsel, auf der wir in einem Fahrradauto rumkurven und in den Budabergen. Hier steigen wir auf den mit 527 Meter höchsten Punkt von Budapest und schauen vom Elisabethturm runter in die Stadt und auf Ungarn.
War unsere Reise eine in die Vergangenheit? Nein!
Es gab immer mal wieder Momente in denen wir sagten : “Ach, hier war ich schon mal.” oder “Mmmh, das schmeckt wie früher.” Doch Budapest ist eine Stadt im hier und jetzt. Man kann schnell die Zeit vergessen und in den Tag hineinleben.
Wir haben uns neue Erinnerungen erlaufen, Erinnerungen an eine Stadt, die wunderschön ist und die aufpassen muss, ihre eigene Identität zu behalten, um nicht “irgendeine” europäische Großstadt zu werden. Aber ich glaube, die Ungaren sind auf einem guten Weg.
Unsere Tipps für Budapest:
- öffentliche Verkehrsmittel nutzen ( besonders die alte Tram 2, die Zahnradbahn in die Budaberge und die Donaufähre).
- In die Unterwelten von Buda steigen. Buda ist von einem riesigen Höhlensystem durchzogen. Wir waren im Labyrinth, aber es gibt auch ein Felsenkrankenhaus und richtige Tropfsteinhöhlen. Außerdem kann man individuelle Touren durchs Höhlensystem buchen.
- Die Synagoge besuchen. Nach ihrem Vorbild wurden sowohl die Wiener als auch die Berliner Synagoge gebaut.
- Ungarisches Essen genießen.
- Abends durchs jüdische Viertel (Elisabethstadt) bummeln.
- Zum Westbahnhof gehen und dann in die danebenliegende größte Shoppingmall Mitteleuropas. Zwei totale Gegensätze – Zeitreise in ein paar hundert Schritten.
- Auf der Pester-Seite an der Donau sitzen, den Schiffen zu sehen und die andere Uferseite bestaunen.
- Einmal rund ums Parlament schlendern und dieses tolle Gebäude auf sich wirken lassen.
- Sich einfach durch Budapest treiben lassen, Häuser bewundern, Kaffee trinken , Touristen beobachten und sich wohl fühlen.
2 Kommentare
Kathrin G.
Hallo Sylke und Henrik, großartig der Bericht. Ich war zweimal in Budapest, 1976 und 1986. Und beide Male tief beeindruckt von der Stadt. 1976 war das eine Jugendtouristreise mit 10 Freunden aus der Schulklasse, das Abitur geschafft und wahrscheinlich deshalb fühlten wir aus einer brandenburgischen Kleinstadt uns so frei und die Welt stand für uns offen. Was ja nur zum Teil stimmte. 1986 war ich dienstlich dort – Förderung der Zusammenarbeit mit den Ungarndeutschen – und da habe ich gemerkt, wie anders die Ungaren ticken und das sich etwas ändern wird und muss in den “sozialistischen Bruderländern.” Und irgendwie wollte ich dann nach der Wende nicht mehr hin. Aber Ihr habt jetzt meine Neugier geweckt und damit steht wieder ein Punkt mehr auf unserem Urlaubswunschzettel für die nächsten Jahre. Liebe Grüße
Sylke
Ganz liebe Grüße zurück.