Für meinen Papa
Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Artikel schreiben soll. Ob ich die Welt/ Euch an so etwas Persönlichem teil haben lassen sollte? Und ob ich es überhaupt schaffe, diesen Beitrag zu schreiben?
Mein Papa, der Held meiner Kindheit, mein guter Freund, mein Lehrer, mein Geschichtenerzähler, mein Quatschmacher … – so vieles mehr, ist gestorben.
Eigentlich wollte ich dieses schreckliche Erlebnis nur mit meiner Familie, guten Freunden und Menschen teilen, die meinen Vater kannten.
Doch Corona macht dem ein Strich durch die Rechnung.
Wir werden zu seiner Beerdigung keine Trauerfeier veranstalten können. Unser Abschied wird ganz still und leise sein und darf nur im engsten Familienkreis für 15 Minuten an seinem Grab stattfinden.
Und so nutze ich mein Herzensprojekt – diesen Blog – zum Abschied nehmen.
Für meinen Papa
Coldplay „Daddy“ (die Lieder zu den einzelnen Kapitel hatten wir für die Trauerfeier ausgesucht)
Um ganz ehrlich zu sein, ich weiß nicht was ich schreiben soll.
Sätze die anfangen mit „In meiner Erinnerung…“ sind im Moment noch ganz unwirklich, denn ich würde viel lieber mit ihm in Erinnerungen schwelgen und neue schaffen. Das ist nun aber nicht mehr möglich und so bleiben „nur“ die Erinnerungen in meiner Mama, in mir, in Henrik und unseren Kindern und zum Glück in all den Menschen, die meinen Vater kannten und die mit ihm ein Stück des Weges gegangen sind.
Ich möchte ihm so gerne nochmal „Danke“ und „Ich habe Dich lieb.“ sagen und dabei ein Lächeln, einen Kuss und einen festen Drücker von ihm bekommen.
Wir konnten in den letzten gemeinsamen Stunden im Krankenhaus Abschied nehmen, ihn loslassen und ihm für den letzten Weg all unsere Liebe mitgeben. Macht es das einfacher? Nein! Aber das Wissen, dass da Nichts offen und nur Liebe ist, lässt mein Herz ein kleines bisschen lächeln.
Ein Mail und ein Brief
Udo Lindenberg „Durch die schwere Zeit“
Da ich nicht so recht weiß, was ich schreiben soll, lasse ich hier unsere Kinder vortreten.
Unsere Tochter hat letzte Woche an den regierenden Bürgermeister von Berlin – Herrn Müller – geschrieben und darum gebeten, dass wenigsten wir uns als Familie verabschieden dürfen. Sie hat dabei schöne Worte gefunden, die beschreiben wer und wie mein Vater war.
Sehr geehrter Herr Müller,
in diesen schwierigen Zeiten möchte ich Sie um einen Gefallen bitten. Meine Familie hat am 08.03.2020 einen tiefen Schlag erlitten. Wir mussten von meinem Großvater Abschied nehmen. Wegen der immer lauter werdenden Rufe nach einer Ausgangssperre für Berlin haben wir als Familie Sorge, bei seiner Beisetzung am 31.03.2020 nicht dabei sein zu können.
Mein Großvater war ein großartiger Mann, der mit seiner immer freundlichen und ehrlichen Art vielen Leuten ein Vorbild war.
Er war als junger Mann Tischler und später Bauleiter. Mit seiner Arbeit an einigen Großbauprojekten wie dem Fernsehturm, dem Grand Hotel und dem Flughafen Schönefeld hat er das Berliner Stadtbild mit beeinflusst.
Später brachte er als Berufsschullehrer jungen Leuten grundlegendes Wissen für ihre Ausbildung bei. Doch auch mit dem Eintritt in die Rente konnte er die Füße nicht stillhalten. Bis zu seinem Tod war er ehrenamtlich beim Senioren Experten Service tätig und hat in Kamerun eine Tischlerei mit aufgebaut und einigen Leuten den Weg ins Berufsleben geebnet. Auch in unserer Familie war er immer der Kümmerer und hat nicht nur seinen Schülern, sondern auch seinen Enkeln viel im Leben beigebracht. Über Angeln, Handwerken, Beton mischen, Geschichte und aktuelle politische Themen konnte man ihn alles fragen.
Unter normalen Umständen hätten wir die Beisetzung für alle, denen er geholfen hat und die sich von ihm verabschieden wollen, offen gehalten. Da so etwas in der aktuellen Situation nicht mehr tragbar wäre, möchte ich Sie mit diesem Schreiben darum bitten, trotz Ausgangssperre meiner Familie und mir zu erlauben, bei seiner Beisetzung dabei zu sein. Er wird am 31.03.2020 beerdigt.
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen
Hier die wirklich mitfühlende Antwort, mit der wir in der schwierigen Zeit nicht gerechnet haben:
Sehr geehrte Frau Dangelat,
für Ihre E-Mail vom … danke ich Ihnen. Zugleich möchte ich Ihnen – auch im Namen des Regierenden Bürgermeisters – Ihnen und Ihrer Familie mein Beileid und tiefstes Mitgefühl zum Tode Ihres Großvaters aussprechen. Selbstverständlich können Sie und Ihre Familie auch in diesen „schweren“ Zeiten an der Beisetzung Ihres verstorbenen Großvaters teilnehmen. Zum Schutz der Teilnehmenden an Trauerfeiern, aber auch zum Schutz der Beschäftigten gilt aber (leider): hier folgt der Gesetzestext
Ich bedauere, dass ich Ihnen in dieser schweren Zeit des persönlichen Verlustes keine günstigere Nachricht übermitteln kann und wünsche Ihnen und Ihrer Familie für die kommende Zeit viel Kraft und Trost.
Mit freundlichen Grüßen
Und auch unser Sohn hat sich schriftlich bei seinem Opa verabschiedet:
Geschrieben am 09.03.2020
Heute ist etwas passiert, was die komplette Familie und Verwandten zu tiefst erschüttert hat. Einer meiner Vorbilder und bester Freund ist im Alter von 72 Jahren verstorben. Reiner war nicht nur mein Opa, er war viel mehr als das. Er hat mir gezeigt, dass man immer – egal wann, wie und wo – zu sich stehen und Selbstbewusst sein soll.
Ich habe es persönlich geliebt mit meinem Opa angeln zu gehen auch wenn wir nichts gefangen haben. Es war einfach schön mit ihm Zeit zu verbringen.
Ich habe so viele schöne Erinnerungen mit ihm zusammen, dass er immer in meinem Herzen weiterleben wird.
Mit seiner frechen Art war er so besonders, dass ihn jeder mochte. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber irgendwie hat er mir das weitergegeben.
Er war geistig immer sehr fit und an Vielem interessiert und deswegen kam der Abschied sehr unerwartet.
Es ist, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich ihn umarmt habe, bevor er ins Krankenhaus ging. Da meinte er noch zu mir – und die Worte werde ich nie vergessen – „Alles wird gut Großer.“.
Ich will Dir mitteilen, dass es mir sehr wichtig war, dass wir – Luise, Sylke, Henrik und deine fantastischen Ehefrau Karin uns von Dir verabschieden konnten . Als ich Deine Hand genommen habe, habe ich gemerkt, dass Du weißt, dass wir da sind.
Ich liebe Dich, das taten und tun wir alle immer noch.
Ruhe in Frieden und werfe mal ein Auge auf Deine wunderbare Familie!
Und beschütze uns bitte.
Danke für Eure Anteilnahme
In den letzten Wochen haben uns so viele Freunde, Verwandte, Bekannte und Wegbegleiter ihr Mitgefühl geschenkt.
Im Moment zum größten Teil durch geschriebene Worte („wir drücken uns, wenn Corona in die Knie gezwungen wurde“).
Ihr habt uns gezeigt, dass nicht nur wir meinen Vater tief in unserem Herzen tragen, sondern dass er auch in Euren Erinnerungen weiterlebt.
Da sind Kindheitsfreunde von mir, die sich daran erinnern, wie er uns lachend durch den Garten gejagt hat.
Verwandte, alte und neue Freunde, die sich an Feiern, gemeinsame Urlaube, Angelausflüge, Hilfe beim Handwerken, einen Plausch über den Gartenzaun, Kaffee trinken im Garten und so vieles mehr erinnern. Menschen, denen er geholfen hat, den eigenen Weg durchs Leben zu finden.
Es gibt junge Leute in Kamerun, die bis heute lustige, deutsche Lieder singen und Rumänen, die ihm immer noch „Dankesmails“ schreiben.
Alle erinnern sich an seine (für manche zu-) ehrliche Art, sein Ausgelassen sein, seine Art die Dinge nicht zu ernst zu nehmen, sein Talent, Alles organisieren zu können und seine Unbefangenheit, auf Menschen zu zugehen.
Ihr alle habt uns nochmal gezeigt, wie besonders Reiner ist/war und welche große Lücke hinterlässt.
Das Leben feiern
Stefan Gwildis „Spiel das Lied in Dir“
Den größten Verlust erlebt meine Mama, die die Liebe ihres Lebens verloren hat. Die mit meinem Vater gemeinsam über 52 Jahre durch dick und dünn gegangen ist. Die kaum noch ein Leben ohne ihn kennt und die sich jetzt ganz neu orientieren muss.
„Meine liebe Mama, wir sind für Dich da, wir tragen die Trauer gemeinsam und all die wunderbaren Erinnerungen.“
Was mich tröstet: dass er jetzt immer um uns herum und in uns ist.
Wenn es ein Leben nach unserem gibt, dann sehe ich genau vor mir, wie er mit Karl Marx diskutiert und John Lennon unanständige Lieder beibringt. Wie er sich mit alten Freunden trifft und ganz viel Blödsinn quatscht. Wie er sich bei den geschichtlichen Größen erkundigt, ob das, was in den Geschichtsbüchern geschrieben steht, auch so war. Ich sehe, wie er mit seinem Vater wieder angeln geht und Mutters Bohneneintopf isst.
Und ich höre, wie er uns jeden Tag zuflüstert: “ Habt den Mut, Euch eine eigene Meinung zu bilden und diese zu vertreten, helft anderen, genießt jeden Tag und feiert das Leben.“
Irgendwann Papa, werden wir uns wiedersehen und dann brauchen wir unendlich viel Zeit zum Quatschen und Lachen.
Bis dahin – in Liebe Deine Familie.
14 Kommentare
Karin Müller
Das tut mir unendlich leid. Ich bin in Gedanken bei euch. Fühle mit euch u d eurem Verlust.
Gruß Karin Müller
Sylke
Vielen Dank und liebe Grüße!
Franzi
Meine liebe Sylke, die Eltern zu verlieren ist das härteste, was wir durchleben müssen. Egal wie alt wir sind….ich war 15 als mein Vater starb, das konnte ich damals nicht fassen, geschweige denn verarbeiten. Vor 6 Jahren verlor ich Mama, und ich stand wieder wie damals vor dieser unfassbaren Situation. Es gibt nichts und niemanden, der diesen Schmerz lindern kann. Nur die Zeit…. Die Zeit heilt tatsächlich diese Wunden. Ohne Zweifel bleiben Narben zurück, die uns immer erinnern werden. Und das ist auch gut so, die Erinnerung bleibt.
Ich drück Dich ganz dolle!
Franzi.
Sylke
Vielen lieben Dank für Deine lieben Worte!
Drücker zurück.
Christel
Liebe Sylke,
Ich hatte Dir ja schon ein paar Worte zuvor geschrieben und auch heute an Dich/Euch gedacht.
Nun hast Du doch einen Weg gefunden Dich zu verabschieden, Deine ganze Liebe steht in Deinen Zeilen. Ich bin sicher, er hat sie gelesen und lächelt. Und obwohl ich ihn nicht kannte, rührt es mich und es macht mich traurig, dass ich ihn nicht kennengelernt hatte.
Letztlich lebt er weiter durch Dich und Deinen Kindern.
Ja, Du wirst ihn wiedersehen, uns trennt nur Zeit und Raum, ich glaube fest an ein Leben danach.
Das Schöne sei Dir bewahrt und Dankbarkeit , dass Du seine Tochter warst.
Sei auch von mir gedrückt.
Deine Christel
Sylke
Liebe Christel,
Du weißt ja wie gerne ich Dich lese. Danke für Deine lieben Worte.
Bleib gesund.
PS: …und ich habe verrückt korrigiert ;o).
Ramona
Hallo Ihr Lieben, welch berührende und treffende Worte ihr für unseren „Besten Nachbarn“ der Welt gefunden habt. Ja, genauso war er. Offen, witzig und Sau-ehrlich. Er ist viel zu früh gegangen. Ihr vermisst ihn jetzt sehr. Wir sind in Gedanken bei euch. Tolle Zeilen. Liebe Grüße Wolfgang und Ramona
Sylke
Wir sind so froh Euch als Nachbarn zu haben und auch jetzt über den Gartenzaun Erinnerungen austauschen zu können.
Andreas
Liebe Sylke, lieber Henrik,
wir sind in Gedanken und mit dem Herzen bei Euch & Euren Liebsten. Schön, dass Du diesen Weg gefunden hast zu trauern und Deinen Vater selbst den Menschen nahe zu bringen, die ihn eventuell nicht persönlich kannten. Muss ein wundervoller Mensch gewesen sein, wenn er solch couragierte und mitfühlende Worte und Gedanken durch Euch sprechen lässt.
Fühlt Euch ganz dolle geherzt
Silvia & Andreas
Sylke
Hallo Ihr Beiden,
Danke das Ihr in dieser schwierigen Zeit an uns denkt und so schöne Worte findet.
Irgendwann – wenn wir uns wieder in natura sehen dürfen- werden wir uns mal drücken.
Bleibt gesund und bis bald.
Katja und Jörn
Liebe Sylke, lieber Henrik,
wir kennen uns nicht persönlich, aber wir durften im März des letzten Jahres euer Heim und eure Kinder kennenlernen als eure Eltern uns für ein Wochenende zu sich eingeladen haben.
Es war eines der intensivsten und wundervollsten Wochenenden, die wir erlebt haben. Runderneuert und erholt durch so viel Herzenswärme, lustige Lebensgeschichten und ein volles Verwöhnprogramm fuhren wir nach Hause – mit dem festen Vorsatz mindestens einmal im Jahr wieder nach Berlin zu kommen, um sie zu besuchen.
Im August haben wir Reiner das letzte Mal gesehen als er mit Karin bei uns in Dresden war…
Und nun? Mein erster Gedanke war als Karin sich mit der traurigen Nachricht meldete: „Der kann doch nicht einfach abhauen!“ Wir hatten doch noch einiges zusammen vor.
So einen Menschen, wie es Dein Vater war, liebe Sylke, möchte man als Vorbild an purer Lebenslust, herzlicher Ehrlichkeit, Motivation und Schaffenskraft einfach gern für immer im Leben behalten.
Wir haben es auch noch nicht so richtig realisiert, dass er nicht mehr unter uns weilt. Das braucht seine Zeit.
In unseren Herzen hat er einen ganz, ganz festen Platz und wir sind in Gedanken bei ihm und eurer ganzen Familie.
Ein lieber Gruß aus Dresden
Katja & Jörn
Sylke
Was für liebe und herzliche Worte von Euch. Vielen Dank dafür.
Auch Mama und Papa haben die Zeit mit Euch sehr genossen.
Wenn diese chaotische Zeit überstanden ist, kommt uns doch gerne wieder besuchen. Dann lernen wir uns mal kennen und gehen ihn mal „besuchen“.
Anke
Liebe Sylke,
es fehlen mir etwas die
Worte nach deinen unsagbar schönen Gedanken für Reini.
Gestern habe ich eine Kerze für ihn angemacht und fest an Euch alle gedacht. Ich bin unsagbar dankbar das ich Deinen Papa kennenlernen durfte und werde ihn weiter fest in meinem Herzen tragen.
Vor über 22Jahren haben Karin und er mich „aufgenommen“ wie eine Tochter und dies war eine wundervolle unvergessliche Zeit bei Euch.
Es tut mir alles so unendlich leid.
Auch ich bin sehr traurig, wollte ich doch Mitte März zu Euch kommen…
Ich wünsche Euch weiter in dieser Zeit, ganz viel Kraft und diesen liebevollen und schönen Umgang den Ihr miteinander habt und der auch in deinen Gedanken sehr deutlich wird.
Fühl Dich umarmt
Deine Anke
Sylke
Liebe Anke,
Danke für Deine liebe Worte. Mama freut sich auch immer, wenn Du ihr schreibst ;o).
Und wir würden uns sehr freuen, wenn Du nach dieser verrückten Zeit vorbeikommst.
Bleibt gesund und mit lieben Grüßen zurück.