Ein Roadtrip: Kapitel 3 – Bretagne
#61 Ein Roadtrip: Kapitel 3 – Bretagne
Lied zum Text: Carmel „It’s all in the game
Wir fahren der Nacht entgegen, sind in Gedanken versunken und Carmel singt uns in die Vergangenheit. Unsere Blicke schweifen immer wieder nach rechts, um ihn zu sehen – das Wunder des Abendlandes, den Le Mont Saint Michel.
Unsere Herzen hüpfen, als wir die Umrisse im Dunkeln erkennen, denn er stellt einen Erinnerungspfeiler unserer Beziehung dar.
Vor 24 Jahren wurde uns hier klar, dass wir ab jetzt für immer miteinander verbunden sind, komme was da wolle. Mittlerweile ist das Wunder, dass uns diese Klarheit gegebenen hat, 23 Jahre alt. Nun stehen wir nach all der Zeit wieder an diesem Ort und fühlen uns nur ein klein bisschen älter.
Wir kommen in der Nacht in der Bretagne an, suchen unser kleines Hotel und etwas zu essen.
Erinnerungen, romantische Rückblicke, schöne Landschaften, eine sternklare Nacht sind mir im Moment ziemlich schnuppe. Ich habe Hunger und bin müde.
Diese Kombination verwandelt mich in ein ziemlich garstiges Monster. Gut, dass der Mann neben mir in den letzten 26 Jahren gelernt hat, mit diesem Monster umzugehen.
So steuert er unser Auto ruhig und zielsicher durch die Dunkelheit.
Durch Dörfer, die im Laternenschein an Jack the Ripper Romane erinnern und wirklich sehr düsteren Landstraßen bis zu unserer kleinen Pension.
Er ignoriert mein Gejammer, “ Wo wir in dieser gottverlassenen Gegend bitte etwas zu essen auftreiben sollen.“ und quatscht lieber mit unserer Gastgeberin (die erstaunlich gut englisch spricht).
Ich laufe den beiden brummend durch das verwinkelte Cottage hinter her, ziehe auf Anweisung den Kopf ein (weil die Balken etwas tiefer hängen), bewundere ganz kurz unser kleines Zimmer und denke die ganze Zeit „Macht schneller, ich verhungere.“.
Zwei Stunden später hat sich mein inneres Monster beruhigt, denn es ist satt und liegt schlummernd im Bett.
Das Wunder des Abendlandes
Am nächsten Morgen beim Frühstück erfahren wir, warum unsere Gastgeber so gut englisch sprechen – sie sind Engländer.
Hier in der Bretagne erfüllen sie sich ihren Lebenstraum – ganz entspannt eine kleine Pension führen. Dafür haben sie in England alles aufgegeben, sind über den Ärmelkanal geschippert und in der Bretagne gelandet. Wir können sie so gut verstehen.
Sie geben uns noch ein paar Tipps für unseren Besuch des Le Mont Saint Michel und schon machen wir uns voller Vorfreude auf den Weg.
Viel hat sich in den letzten 24 Jahren verändert. Es gibt einen riesigen Parkplatz, von dem man mit einem Bus zum Mont fahren kann, einige Hotels wurden in seine Nähe gebaut, der Damm wurde naturalisiert, so dass die Insel nun bei Flut auch wieder im Wasser steht. Wir versuchen uns zu erinnern, wie es damals hier aussah, doch das fällt uns ziemlich schwer.
Dann sehen wir ihn, laufen die nächsten 20 min auf ihn zu und er ist immer noch der Alte. Einmalig schön, wie er so im Wattenmeer steht, von Krähen und Möwen umkreist, wie aus einer anderen Welt.
Diesen Blick haben wir fast für uns allein, jetzt in der Vorsaison ist kaum jemand da. Die wenigen Touristen, die am frühen Morgen den Mont besuchen, fahren mit dem Bus. Wir beide laufen zur Insel und durch die Zeit.
So viele „Weißt Du noch?“ hüpfen über unsere Lippen, unsere Hände finden sich, um wie damals ganz verliebt hin zu laufen. Hier fingen drei wunderbare Urlaubswochen in der Bretagne an – unser erster gemeinsamer Roadtrip und wir wussten, den nächsten Urlaub werden wir als Familie erleben, denn ich was damals im dritten Monat schwanger.
Wir laufen die Schrägen hoch, erklimmen die Treppen, spazieren im Zick Zack durch das Dorf (in dem immer noch 30 Menschen wohnen), schauen aufs Wattenmeer und in die Touristenläden.
Saint Malo
Mittags beschließen wir, nach Saint Malo zu fahren und hier noch eine Nacht zu verbringen. Auf kleinen Feldwegen fahren wir immer am Wasser lang, der bretonische Wolkenhimmel über uns, Kühe neben uns und herrliche Ausblicke vor uns. Wieder einmal freuen wir uns, ohne Wohnwagen unterwegs zu sein. So können wir ohne Bedenken die kleinsten, holprigen Wege fahren und einfach mal am Straßenrand stehen bleiben.
In der Stadt suchen wir uns ein Hotel und dann zieht es uns in die alte Innenstadt. Auch hier schwelgen wir in Erinnerungen und erkennen erstaunlich viel wieder.
Saint Malo ist eine wunderschöne Stadt mit einer alten Stadtmauer, auf der man die ganze Innenstadt umrunden kann, mit herrlichen Sandstränden, vorgelagerten Inseln, hübschen Häusern, einem Hafen und dazu einem Himmel den nur die Bretagne zaubern kann.
Regen und Sonne wechseln sich bei unserem Spaziergang im Minutentakt ab, dadurch verändern sich auch die Aussichten ständig. Von bedrohlich bis ganz sanft ist alles dabei.
Im Zauberwald
Am Abend überlegen wir uns, wo es als nächstes hingeht. Schweren Herzens beschließen wir, die Bretagne nur hier zu streifen und auf fast direktem Weg in die Nähe von Saint Nazaire zu fahren.
Am nächsten Morgen können wir uns noch nicht so richtig trennen und gurken über kleine Landstraße durch die mystische Seite der Bretagne. Unser Ziel der Zauberwald von Brocéliande in der Gemeinde Paimpont. Hier spielt ein Teil der Artus-Sage und so laufen wir Mittags an Merlins Grab vorbei, am etwas verlodderten Jungbrunnen, stehen am Etang du Pas du Houx und schauen über den See aufs Chateau. Zum Abschluss machen wir noch einen Rundgang durch das Dorf Paimpont mit seiner schönen Abtei.
Gar nicht weit von uns soll eines der schönsten Dörfer Frankreichs liegen. Der Tag ist noch jung und so beschließen wir, ganz spontan einen Abstecher dorthin zu machen.
Ich bin bei solchen Bezeichnungen (das schönste Dorf) immer etwas vorsichtig, sehe entweder eine touristische Disneylandschaft vor mir oder drei verfallene Häuser.
Als wir in Rochefort-en-Terre bei Nieselregen ankommen, bin ich auch erstmal etwas enttäuscht und sehe meine zweite Vermutung schon bestätigt. Auf dem Parkplatz stehen gerade mal 3 Autos und in der Kneipe gegenüber (nee keine schöne kleine Brasserie) sitzen ein paar Bauarbeiter. Diese haben scheinbar den ganzen inneren Straßenkern des Dorfes aufgebuddelt.
„Egal, lass uns trotzdem mal durchlaufen“ denken wir zum Glück, denn gleich hinter der Baustelle ist man im Mittelalter und wirklich in einem der schönsten Dörfer Frankreichs. Eine Stunde bummeln wir an efeubedeckten Fassaden vorbei, an den Häusern aus Granit und roten Fachwerkbalken, schauen in die alten Kirche, die kleinen Läden und machen eine Pause im Süßigkeitenladen bei Crêpes und Tee.
Wir haben das Dorf (jetzt Anfang März) für uns allein. Im Sommer ist das wohl anders, da soll man sich mit vielen anderen Touristen durch die Straßen quetschen.
Ende einer Zeitreise
Nach diesem Nachmittag im Mittelalter fahren wir durch die Sumpf- und Lagunenlandschaft des Naturparks Briere, um am Abend nach unserer Zeitreise durch das Dark Age und das neuere Mittelalter wieder im JETZT anzukommen und eine Nacht im Gewerbepark bei Saint Nazaire zu verbringen.
In unserer ersten Woche auf dem Roadtrip haben wir schon so viel Schönes gesehen, dabei sollte es diesmal „nur“ der Weg zum Ziel „französische Atlantikküste“ sein. Ab jetzt bewegen wir uns auf unbekanntem Terrain, denn diesen Teil von Frankreich kennen wir noch nicht und unsere Vorfreude ist groß.
Im nächsten Kapitel schlafen wir in einem Haus am Meer, verbringen einen französischen Sonntag in La Rochelle, wandern auf der Stadtmauer von Brouage und machen eine Fährfahrt nach La Verdon sur Mer.