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Ein ostdeutsches Herbstwochenende

#32 Ein ostdeutsches Herbstwochenende
Lied zum Text: Keimzeit „Kling Klang“

Seit mehr als 5 Wochen sind wir wieder zuhause und das Monster ruft schon seit einiger Zeit leise: „Kommt, lasst uns nochmal losziehen, bevor ich Winterschlaf mache.“
Weil wir dem Monster nichts abschlagen können, wird es nochmal vollgepackt und wir fahren für ein langes Wochenende tief in den Osten Deutschlands. Wir besuchen Guben, Bad Muskau, Görlitz  und sind von den Städten und der Landschaft ganz angetan.

Am langen ersten Oktoberwochenende wird das Monster wieder ans Auto gehangen und wir fahren Richtung Guben los. Das Wetter zeigt sich von seiner schönsten Seite. Der Himmel ist blau und die Sonne strahlt.
Ich liebe dieses Herbstlicht, wenn die Sonne den Weichzeichner rausholt und alles ganz golden leuchtet.
Die Bäume färben sich gerade, die Felder sind abgemäht, vereinzelt stehen noch ein paar Sonnenblumen am Wegesrand und leuchten mit der Sonne um die Wette. Über Allem liegt eine gewisse herbstliche Melancholie. Der Abschied von diesem Jahr ist schon fühlbar nah. So treiben wir langsam und gemächlich auf den brandenburgischen Landstraßen dahin- bis kurz vor Guben.
Hier haben wir uns einen Campingplatz am See rausgesucht. Drei Dauercamper sind noch da und sonst sind wir allein. Natürlich nehmen wir uns den Platz direkt am See, der im Sommer bestimmt hart umkämpft ist. Mit Tee und Keksen setzen wir uns an den Strand, lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen, hören wie der Wind mit dem getrockneten Schilf spielt, sehen Fische springen …. Uns geht es gut und Berlin ist länger als 2 Stunden entfernt, fast schon eine Ewigkeit.

Wir haben unsere alten Kickroller mitgenommen und machen uns mit diesen auf den Weg nach Guben. Die Radwege sind sehr gut ausgebaut und so kommen wir schnell voran. Es ist echt schön hier am ostdeutschen Ende der Republik. Wir fahren an der Neiße entlang, die sich hier durch eine wirklich schöne Natur schlängelt.

Guben? – ich habe da keine großen Erwartungen. Das einzige, was ich weiß: es gibt eine zerstörte Kirche in Gubin, die es sich lohnt anzusehen. Doch Guben überrascht uns, es stehen viele schöne Gründerzeitvillen am Straßenrand. Die Häuser sind fast alle restauriert und die Lage an der Neiße hat was. In der Stadtmitte überqueren wir den Grenzfluss und sehen die alte Stadtkirche. Sie überragt die Stadt und ist viel größer, als wir dachten. Aus ihrem Inneren erklingt polnische Volksmusik, meine beiden Männer (Henrik und unser Sohn) bleiben erschrocken draußen stehen. Ich gehe rein, in der Ruine stehen drei singende Frauen und das Publikum macht ordentlich mit. Sofort kommt ein Mann auf mich zu und fragt, ob wir uns die Kirche ansehen wollen. Ich rufe meine beiden Draußengebliebenen rein und sie nehmen die Treppe sofort in Angriff.
Die Kirche ist eine instandgehaltene Ruine, man hat eine Metalltreppe rangebaut, die in den intakten Turm führt. Ich, mit meiner Höhenangst, traue mich da nicht rauf, bleibe bei dem netten polnischen Herren sitzen und schaue dem Musikschauspiel zu. Dieser Tag söhnt mich mit Polen wieder etwas aus, es gibt sie also doch, die netten Polen. Am Anfang unserer Nordeuropatour hatte ich daran meine Zweifel (siehe „Ein schwieriger Start„).

Im herbstlichen Abendlicht fahren wir mit unseren Rollern wieder zurück zum Monster. Am Ende sind wir 16 km gerollert und schlafen erschöpft ein.

Am nächsten Tag geht es nach Bad Muskau. Wieder begleitet uns die Sonne und die herrlichen brandenburgischen und sächsischen Landschaften.
Wir fahren mit dem Monster einmal komplett durch Bad Muskau durch, immer auf der Suche nach einem 12 m langen Parkplatz. Diesen finden wir im polnischen Teil und machen uns von hier auf in den Landschaftspark. Dieser Park ist bestimmt zu jeder Jahreszeit ein Erlebnis, jetzt im Herbst zeigt er sich in wunderschönem Bunt.
Ich bin immer fasziniert, wenn ich von Leuten lese oder höre, die ihre riesigen Visionen/Träume verwirklichen und Fürst Pückler ist eine sehr faszinierende Person. Seit  er mir in einem Buch über den Weg gelaufen ist und ich eine Dokumentation über ihn gesehen habe, bin ich ganz beeindruckt von ihm und seinem Leben. Jetzt in seinem Park zu stehen, der sehr, sehr groß ist und versuchen zu verstehen, was jemanden antreibt, so etwas zu planen und auch zu verwirklichen, überfordert mich ein wenig.
Wir schlendern durch den Park, lassen uns von der geplanten Schönheit beeindrucken und am Ende des Rundgangs essen wir ein Eis (nee, leider gab es kein Fürst Pückler Eis).

Danach geht es zum Monster und wir fahren weiter nach Görlitz. Hier kommen wir am späten Nachmittag auf einem Stellplatz an einem Reiterhof direkt in Görlitz an. Wir haben von hier einen unglaublichen Blick über Görlitz und die herbstliche Landschaft.
Am Abend machen wir noch einen kleinen Spaziergang in eine Gartenkolonie und dann geht es ins Bett.

Nach einem windigen, aber sonnigen Frühstück im Freien, bei dem wir  Kinder beim Drachensteigen beobachten, machen wir uns auf Görlitz zu erkunden.
Wir haben schon sehr viel Gutes über diese Stadt gehört und alles stimmt. Görlitz ist eine der wenigen Städte, die im 2. Weltkrieg nicht zerstört wurden. Dadurch gibt es wunderschön erhaltene, restaurierte Häuser und Straßenzüge.  Kaum in der Stadt angekommen, stehen wir vor dem Görlitzer Kaufhaus – ein richtiges Goldstück. Im Film „Grand Budapest Hotel“ wurden hier die Innenszenen gedreht. Es ist von einem gebürtigen Oberlausitzer gekauft worden und wird gerade saniert. Trotzdem kann man das Prachtstück besichtigen und das sollte man auch tun, denn es ist wirklich beeindruckend.

Görlitz ist wie ein großes Museum, überall schöne Häuser, Gassen und Plätze und dann gibt es auch etwas Skurriles – das heilige Grab. Von 1480 -1508 hat Georg Emmerich ein religöses Gesamtkunstwerk geschaffen, eine Nachbildung des heiligen Grabes in Jerusalem.
Das Ensemble mit der Heilig-Grab-Kapelle, der Doppelkapelle zum Heiligen Kreuz mit Adamskapelle (unten) und Golgathakapelle (oben) sowie dem Salbhaus mit der Skulptur „Die Beweinung Jesu“ stellt heute einen großen historischen Wert da. Doch wir Kunstbanausen können damit nicht allzu viel anfangen. Es ist nur eine Nachbildung und auch wenn diese selber schon über 500 Jahre alt ist, fehlt ihr irgendwie das mystische.

Also geht es weiter durch die tolle Stadt, bis wir irgendwann Hunger haben und uns in ein Restaurant setzen. Nach 15 min Wartezeit bekommen wir eine Karte, nicht schlimm wir haben ja Zeit. Wir sitzen direkt an der Neiße und schauen nach Polen, ich suche mir Piroggen aus (wo bekommt man die sonst ?) und wir warten auf die Kellnerin und dann kommt ein Zeitreisesatz: „Nein, Essen gibt es jetzt nicht, die Küche ist geschlossen.“.  Wie cool ist das denn? Den Satz habe ich seit der Wende nicht mehr gehört. Wir stehen auf und suchen uns ein anderes Restaurant, wo wir auch um 15 Uhr etwas zu essen bekommen.
Danke Görlitz für diese unglaubliche Zeitreise von der Kreuzigung Jesus, über das Mittelalter in der Innenstadt, der Gründerzeit im Kaufhaus bis hin zur Wende- alles dabei.

Als wir am Monster ankommen, fängt es an zu regnen, aber das ist ok, unser Kurztrip ist zu ende. Wir essen im Bett Abendbrot, quatschen noch und können mal wieder nicht schlafen, weil der Regen so laut ist.


Am nächsten Tag geht es wieder nach Hause.
Hier machen wir das Monster bettfein für den Winterschlaf. „Schlaf gut, träume von Abenteuerreisen und fahre im Frühjahr wieder mit uns los.“
Bis dahin lassen wir das Monster in Ruhe und fliegen mit dem Flugzeug im Oktober in die Toskana und im Februar nach Island.

 

 

 

 

 

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