Grübeln über ...

Grübeln über – Strom

Vor ein paar Tagen hatte ich viel Zeit, über eine  moderne Selbstverständlichkeit zu grübeln – unseren Strom.
Letzte Woche war er auf einmal weg und damit nicht nur das Licht, sondern fast alle Annehmlichkeiten unseres Lebens.
Schon komisch, wie abhängig wir uns in den letzten 100 Jahren von dieser unsichtbaren Ressource gemacht haben.
Eine allgemeine Stromversorgung gibt es in Berlin erst seit 1884, wobei sie damals mehr oder weniger nur zu Beleuchtungszwecken genutzt wurde. Und nur etwas über ein Jahrhundert später ist für uns eine Welt ohne Strom nicht mehr vorstellbar.

Henrik sagt: „Ach Mann, was ist denn jetzt schon wieder los?“ Ich sitze neben ihm im Auto und träume so vor mich hin. Wir stehen vor unserer Einfahrt. Henrik drückt auf die Fernbedienung fürs elektrische Tor und es geht nicht auf. Ich denke nur: „Willkommen in meiner Welt, in der elektrische Dinge selten das tun, was ich von ihnen möchte.“
Henrik drückt und drückt auf den Knopf, aber das Tor geht nicht auf. Ich steige schon mal aus und gehe durch die noch manuell bedienbare (also Klinke drücken, Tür aufschieben und durchgehen) Tür. Mein Mann kommt meckernd nach und verschwindet sofort im Keller, um die Sicherungen zu checken. Ich warte.

Aus dem Keller höre ich dumpf die Worte: „Mhh, bei uns ist alles in Ordnung. Das muss ein Stromausfall sein.“ dann etwas lauter: “ Sylke? Ich gehe mal nach nebenan fragen.“ und ich:“ Heb mir mal die Einkäufe über den Zaun, dann kann ich schon mit Einräumen beginnen.“
Wir haben gerade unseren Wocheneinkauf erledigt. Ich packe die Lebensmittel in den dunklen Kühlschrank und hoffe, dass in den nächsten 10 Minuten der Strom wieder da ist. Immerhin wollten wir uns jetzt einen Kaffee machen.

Zehn Minuten später ist der Strom nicht da, aber mein Mann und er hat nicht so gute Nachrichten. Die Nachbarn (eine Autowerkstatt) sagen, der Strom ist seit einer halben Stunde weg und ein Kunde, der gerade kam, erzählte: “ Die haben irgendeine Leitung angebohrt.“

Wir holen unsere Handys und wollen ins Internet, um die Nachrichten zu lesen.
Ok, das WLan funktioniert nicht, braucht ja Strom. Aber leider funktionieren auch die Sendemasten in der Umgebung nicht mehr richtig, denn die Handys haben nur ein ganz schwaches Netz. Ein Surfen im Internet unmöglich. Also keine Infos, dafür einen Kaffee. Ach nee, Wasserkocher und Herd funktionieren ja nicht. Da kommt mir eine Idee:“ Sag mal der Gasherd meiner Eltern funktioniert doch, oder?“ Ein klares „Ja.“ kommt von Henrik. Ich gehe also hoch, in die Wohnung meiner Eltern und mach uns erstmal einen Tee.

Stunden später sitzen wir ein paar Kilometer weiter bei McDonalds, laden die Handys, lesen die neuesten Nachrichten und nebenbei essen wir auch was. Der McD macht heute das Geschäft seines Lebens. Er ist mega voll und immer mehr Menschen sind scheinbar auf der Suche nach Strom und Informationen.
Außerdem rufen wir erstmal Henriks Eltern an und fragen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist. Von zuhause war das nicht möglich. Dank digitalem Telefonnetz funktioniert das Telefon auch nicht mehr bei einem Stromausfall. Schöne neue Welt! Wie soll das funktionieren, wenn man einen echten Notfall hat? Man muss sich dann mit einem Herzinfarkt ins nächste Krankenhaus schleppen. Ein Notruf ist nicht möglich ohne Strom.
Als uns klar ist, dass wir auf jeden Fall noch bis nachts um 3 Uhr warten müssen, bis der Strom wieder da ist, machen wir uns auf den Weg nach Hause.

Es ist dunkel. Automatisch bedienen wir die Lichtschalter, das passiert uns in den nächsten Stunden noch so einige Male. Ich hole alle Kerzen raus, meine Männer organisieren Taschenlampen, dann schaue ich mal nach meinen Eltern. Die sitzen bei Kerzenschein auf dem Sofa und vor ihnen ein batteriebetriebenes Radio. Mein Vater sagt: „Siehste, ist doch gut, wenn man alten Krempel aufhebt.“ Wir sind da etwas gegensätzlich. Ich der Wegschmeißer, mein Vater der Sammler und der „Das-kann-man-noch-gebrauchen-Typ“. Diesmal hat er Recht.

Kaum bin ich wieder in unserer Wohnung, holt auch Henrik ein altes Radio vor. So haben wir wenigstens etwas Musik und Informationen. Langsam wird es in der Wohnung kalt, denn auch die Heizung (obwohl eine Gasheizung) funktioniert ohne Strom nicht. Ich krame die alte Wärmflasche vor und wir gehen ziemlich früh ins Bett. Der letzte Satz meines Mannes: “ Es könnte sein, dass wenn um 3 Uhr der Strom wieder da ist, unsere Lampen alle angehen.“

Aber auch um 6 Uhr sind keine Lampen an, nur der Mond war in dieser Nacht unglaublich hell. Es wird klar, auch diesen Tag werden wir ohne Strom verbringen.
Langsam mache ich mir Sorgen um den Tiefkühler. Nach einem kurzen Nachsehen stelle ich fest, der ist noch kalt, selbst die Eiswürfel sind gefroren. Das wird nach 31 Stunden immer noch so sein. Am Ende des Stromausfall hat er eine Temperatur von -8°C, wir sind erstaunt und beeindruckt.

Im Radio wird angesagt, dass die Kitas und Schulen heute geschlossen bleiben und man soll sich im Internet informieren. Sehr witzig.
Unser Sohn beschließt, bei der Schule vorbei zu fahren und nachzusehen. Er schwingt sich aufs Rad und ist ein paar Minuten später in Begleitung von zwei Polizisten zurück. „Gehört, der zu Ihnen?“  „Ja.“ „Na dann ist ja gut. Wir fahren heute vermehrt Streife und haben ihn mit dem Fahrrad ziemlich schnell wegfahren sehen. Da fragen wir lieber nach, ob alles in Ordnung ist. Nicht das jemand die Situation ohne Strom ausnutzt.“ Ich bin erstaunt und bedanke mich. Im Laufe des Tages fahren wirklich unzählige Polizeiautos durch unser Wohngebiet.

Der Tag in unserer stromlosen Gegend ist ruhig. Keine Handkreissäge kreischt in der Nachbarschaft, kein Baum wird gestutzt, keine Bohrmaschine bedient, die Straßenbahn quietscht nicht in den Kurven und am Bahnhof hält die S-Bahn nicht mehr. Auch alle Geschäfte sind zu. Es ist ein bisschen wie in Under the Dome. Wir leben gerade in einer elektrofreien Zone.

Uns fällt auf, wie sehr man die Ablenkung von außen gewöhnt ist, langsam wird das Ganze nämlich ziemlich langweilig und die Wohnung ganz schön kalt. Also fahren wir zum Aufwärmen ins nächste Möbelkaufhaus mit schwedischen Wurzeln. Hier treffen wir alle Eltern mit ihren Kindern, die heute nicht in die Kita können.
Nach dem Aufwärmen und Nachrichten lesen übers Handy schwingen wir uns wieder auf die Fahrräder und ab geht es in unsere informationsfreie Kuppel. Hier hat uns einer der Nachbarn einen mobilen Gasofen hingestellt, damit bekommen wir die Wohnung etwas warm. Auf den späten Nachmittag gehen wir ins Kino, doch erstaunlicherweise sind wir diesmal die Einzigen, die auf diese Idee gekommen sind.

Zum Abendbrot gibt es Matjes, Quark und Kartoffel (Dank Gasherd meiner Eltern) bei Kerzenschein.
Dabei fließen eine ganze Menge Ideen. Kochen würde zu Not auch mit dem Gasgrill funktionieren. Wasser könnte man auch mit einem Lagerfeuer zum Kochen bringen.
Ideen, wie mit dem Auto Strom zu erzeugen, unsere Wohnwagenbatterie an den Fernseher anzuschließen, verwirklichen meine Männer zum Glück erstmal nicht.
Anders sieht es mit einer Insellösung für unsere Solaranlage aus. Darüber denken wir auch jetzt noch nach. Denn eigentlich erzeugen wir, sobald die Sonne scheint, Strom, können diesen aber bei einem Stromausfall nicht verwenden. Mit einer Insellösung wäre das möglich.

Wir sitzen am Abendbrottisch und quatschen und quatschen und…. Ganz ohne Ablenkung und ohne das Gefühl „Ich muss nochmal an den PC, eine Fernsehsendung schauen oder mal schnell ins Internet.“ hat man dafür ganz viel Muße.

Auf einmal geht das Licht im Flur an. Es ist fast halb zehn und der Strom ist wieder da. Einige Nachbarn zünden vor Freude die letzten Silvesterraketen.

Fazit:
Alles in Allem waren diese ruhigen Stunden gar nicht schlimm, nicht mal annähernd so,  wie in Blackout von Marc Elsberg beschrieben.
Das lag aber auch daran, dass wir nur eine kleine stromlose Insel waren und es nur ein paar Kilometer weiter Strom gab.
Außerdem waren alle Nachbarn und Menschen um uns herum mega relaxt.
Ich möchte mir jedoch nicht ausmalen, wie es wäre, wenn ganz Berlin oder sogar Deutschland davon betroffen wären. Das Chaos käme bestimmt ziemlich schnell.

Einen besonderen Dank möchte ich unserer Polizei aussprechen. Die war die ganze Zeit sehr präsent und hat darauf aufgepasst, dass niemand auf dumme Gedanken kommt. Sie fuhr ständig Streife durch unsere Gegend, hatte mobile Anlaufstellen eingerichtet und den Verkehr an den großen Kreuzungen geregelt. Sie war einfach da und hat uns damit ein Gefühl von Sicherheit gegeben – so wie ein Freund und Helfer das macht.

Übrigens, im Moment löst jeder funktionierte Lichtschalter bei mir noch pure Freude aus. Wie oft wir in den stromlosen Stunden aus Reflex auf die Schalter gedrückt haben, kann man nicht zählen.

 

 

 

2 Kommentare

  • Konny

    Da fällt mir nur die Legende aus New York zu ein, nach der 9 Monate nach einem längeren Stromausfall in den 60ern die Geburtenrate gestiegen sein soll…

    Liebe Grüße aus dem schönen Tiflis

  • Christel

    Hallo Sylke
    Ich musste herzlichst lachen.Diesen Winter erging es uns auch so, es war bereits dunkel und der Strom fiel aus ,mitten in den Hausaufgaben .Junior witterte schon seine Chance “ dann mach ich jetzt keine ..“ ich : nix da! Alle mit Batterie geladenen Kerzen ausgekramt,zu dunkel ,normale Kerzen dazu,immer noch zu dunkel…Aber das Grinsen von Junior konnte ich im Halbdunkel trotzdem noch sehen.“ Mach Dir keine Hoffnung. “ Dann rief ein Depp aus dem Fenster „Stromausfall“ ,danke, wäre ich nicht drauf gekommen.Was sollte das jetzt? Soll ich jetzt zurückrufen “ nee ich sitze gerne im Dunkeln ?“
    Es wurde hektisch und immer mehr Menschen wuselten nach draußen ,um zu schauen ,ob nur sie selbst die A- Karte hatten oder ob alle davon betroffen waren.“ Darf ich mal rausschauen?“ Nix da,Klappe halten ,sitzen bleiben ,weiter schreiben …
    Mir taten schon die Augen weh, das Licht reichte immer noch nicht ,ach ja. handy war auch leer und Taschenlampe nicht auffindbar im Dunkeln .Also eletr.Kerze über das Blättere wie Taschenlampe ..umständlich, aber geht doch, wo ein Wille,da ein Weg …dachte an meine Eltern und Oma im Krieg ,da war auch kein Strom.Kein Wunder,dass deren Bildung darunter gelitten hat .Panik ergreift mein besorgtes Mutterherz “ brauchst Du noch lange? Mach hin“!
    Es klingelte, die Nachbarin wandert im Pyjama im Treppenhaus,ob ich mal auf Ihr Kind aufpasse, sie will auch mal nach draußen.Mein Sohn nutzt die Gelegenheit um abzuholen,Flucht zwecklos, der Fernseher geht eh nicht und das 3jährige Kind schaut dem Pyjama nach und ich muss es dazu bringen nicht auch abzuhauen.Treppe rauf “ hinsetzen,weitermachen “ ,Treppe runter „Mama kommt gleich “ ,Treppe rauf “ nach die Tür zu,die Katze…“,Treppe runter “ keine Angst,Mama ist gleich wieder da“,Treppe rauf “ wann gibts Essen?“ Is das ’n Witz? Soll ich den Grill rausholen?Treppe runter “ nicht weinen ..“ Treppe rauf “ lass das Gefummel an den Kerzen ,soll die Bude abbrennen?Treppe runter ,der Pyjama taucht auf und ich bin erlöst..
    Mit eisernem Willen und mütterliche Ungnade sind die Hausaufgaben fertig.Und Es gibt keine Gute Nacht Geschichte,kein entspannten Fersehabend und kein warmes Abendessen und wir reden miteinander 🙂
    Das geht nicht, das geht auch nicht ,das da auch nicht.Wir haben alles aufgezählt ,fühle mich auf Entzug.
    Bing,Licht da,ein großes Ahhhhhhh kommt von der Straße und wir sind zurück im Industriezeitalter
    Herrlich, 1x jährlich Stromausfall und nix lernen wir daraus ,weder Wertschätzung noch dass endlich eine Taschenlampe griffbereit liegt…
    Liebe Grüße
    Christel

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