Grübeln über ...

Grübeln über – Zeitreisen

Dieses graue Januar-Wetter versetzt mich mal wieder in Grübelstimmung und ich lasse Euch gerne daran teilhaben.
Wie Ihr bereits gemerkt habt, grüble ich im Sommer scheinbar viel weniger.
Das stimmt so nicht. Aber, wie alles im Sommer, sind dann auch meine Gedanken leichter und fliegen meistens (wie Schmetterlinge) davon, bevor ich sie aufs Papier bringen kann. Im Winter ist das anders, da setzen sich manche Gedankengänge ganz fest und lösen sich erst, wenn ich ihnen Ausdruck verleih.
So ging es mir auch bei einer “Zeitreise” vor ein paar Tagen.

Henrik sagt: ” Wo warst Du denn solange? Wolltest Du nicht nur ein Brot kaufen?”
Der arme Mann steht auf der Leiter und bringt Tapetenbahnen an. Ich hatte da so eine Idee, die sich Schlafzimmer-Renovierung nennt und mein persönlicher Wunscherfüller ist gerade in der Umsetzungsphase.
Ja gut, ich habe ein wenig die Zeit vertrödelt, aber wenn er wüsste, wie weit ich gereist bin und wo ich überall war, würde er sich wundern, dass ich dieses Jahr schon wieder zuhause angekommen bin.

Ich bin den üblichen Weg zum Bäcker am Bahnhof gelaufen. Dabei war ich gedanklich über 40 Jahre unterwegs. Ich reiste durch die Zeit, hielt da mal kurz an und stieg für einen Moment dort aus der Zeitreisemaschine.

Das passiert mir öfter auf vertrauten Wegen und dieser Weg ist mir mehr als vertraut.
Ich sehe dann plötzlich ein kleines blondes Mädchen vor mir hüpfen. Ihr Bauch ist gefüllt mit einer Currywurst, die sie sich am Bahnhof gekauft hat (die gibt es übrigens immer noch). Sie leckt sich die Soße von den Fingern und grübelt, was sie heute noch so machen wird. Da hat sich in den vielen Jahren nichts geändert. Damals gut im Grübeln und heute immer noch.

Ein paar Schritte weiter höre und sehe ich die Kinder auf dem Schulhof spielen. Auch da ist sie wieder mit dabei. Diesmal etwas älter, läuft sie mit ihren Freundinnen Richtung Tischtennisplatten (in der siebten Klasse, ihre liebste Pausenbeschäftigung). Die Mädels stecken die Köpfe zusammen und kichern. Was machen die anderen drei wohl heute?
Gleich gegenüber der Schule fällt mein Blick auf den Rodelberg. Ich erinnere mich an einen Schlittenabflug mit einer unsanften Ladung in einem Stacheldrahtzaun. Damals verirrte sich kein Erwachsener auf diesen Hügel, heute sind bei Schnee mehr Eltern als Kinder auf der Anhöhe.

Umso näher ich unserem Zuhause komme, umso mehr Erinnerungen kommen hoch. Ich sehe das kleine Mädchen im Kieshaufen auf der Straße spielen oder ganz angespannt an einem Baum sitzen, um die “vielen” Autos zu zählen, die hier vorbei fuhren (zwei am Tag, heute bestimmt 100). Ich sehe sie in Selbstgesprächen vertieft die Gartentür öffnen oder mit ihrer Freundin Hopse spielen.
In meiner Erinnerung ist es auf einmal dunkel, ein Auto steht vor der Tür, darin Henrik und ich bei unserer allerersten Knutscherei.
Es wird wieder hell, aus unserem Garten dringt ihr Lachen durch die Hecke, sie ist wohl gerade mit Verstecken dran. Nach all den Jahren kann ich mich sogar an ihre Träume und Wünsche erinnern und wenn ich sie heute treffen würde, könnte ich ihr sagen: “Es wird besser, als Du Dir das vorstellen kannst. Mach Dir keine Sorgen.”

An meinem Wohnort ist jeder Platz, jede Ecke mit Erinnerungen belegt.
Seit meiner Geburt lebe ich am gleichen Ort, sogar im gleichen Haus. Hier sind meine Wurzeln. Da meine Wurzel voll Vertrauen und ganz liebevoll tief in diese Erde wachsen konnten, bin ich hier mit allen Erinnerungen, dem Jetzt und meinen Zukunftsplänen sehr glücklich.

Henrik ruft von der Leiter:”Wo bist Du denn jetzt schon wieder?” Ich schaue zu ihm hoch und denke: ” Schön, dass meine Heimat – Henrik – und meine Wurzel am gleichen Platz zu finden sind.” und lächelnd sage ich:
“Hier bei Dir.”

Erinnerungsort

Diesmal gibt es sogar mal eine Lied zu einer Geschichte bei “Grübeln über”. Auch Bosse hat über Erinnerungen in seinem Lied “Hallo Hometown” gesungen.

Wie ist das bei Euch, geht ihr auch manchmal die Straßen Eurer Kindheit lang und erinnert Euch an damals? Gibt es ein Essen, einen Duft, ein Lied das Euch sofort zurück reisen lässt? Oder verdrängt Ihr die Erinnerungen an damals lieber? Seid Ihr weit weg von Euren Ursprungserde gezogen und habt Eure Wurzel ganz woanders tief verankert? Oder habt Ihr Eure Wurzel gekappt und fliegt lieber von Ort zu Ort?

2 Kommentare

  • Christel

    Hallo Sylke, ja, diese Gedankenreisen kenne auch ich gut.Doch ich bin entwurzelt, fern von dem Ort,der einst mein Zuhause war, ein Kind der Großstadt,aufgewachsen in einer kleinen 3-Zimmerwohnung.Ich kenne jede Ecke,jeden Winkel wo ich einst spielte,es war die Straße.Der Hinterhof war klein,doch ich habe ihn im Alter von 12 Jahren umgegraben und Wiese angelegt,Regenwürmer eingesammelt ,den Goldschmuck von Oma als Schatz verbuddelt und eine echte römische Münze dabei gefunden.Der Hof war MEIN Ort, nach der Schule im Sommer habe ich das alte Militärzelt meines Vaters aufgebaut und dort war ich und malte und konnte mich aus der Enge zurückziehen.Dort erfand ich eine Fantasiesprache mit eigener Grammatik und lernte die Vokabeln sogar auswendig,da ich noch kein Englisch hatte.Es war meine Geheimsprache für das Tagebuch.
    Der Geruch vom Zeit ist mir immer noch in der Nase.Doch ich bin dem Ort entwachsen.Keine Sehnsüchte, aber Berlin ist auch nicht zur Heimat geworden.Ich lebe hier und arbeite hier, doch die Stadt erdrückt mich.Die Heimat finde ich hin und wieder bei Freunden oder bei den Kindern.
    Ich brauche die Erde,die Sonne und das Wasser und vor allem die Freiheit, das sind meine Elemente.
    Es ist schön,dass Du diese Heimat hast ,bewahre sie gut.

    • Sylke

      Hallo Christel,
      herrlich, wie Du wieder von Deiner Kindheit erzählst. Ich kann das Zelt auch riechen und saß beim Lesen mit Dir darin.
      Vielen Dank für Deinen Kommentar.
      Liebe Grüße (auch an die restliche Arbeitsbande).

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